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Zwischen Bücherwand und Netlife

Dr. Giesbert Damaschke ist freier Journalist und immer für ein heikles Webthema zu haben. Im Interview erzählt er über die guten Erfahrungen mit Mailinglisten und seine Arbeit im Projekt <w3history>.


 

KriT: Ich bin begeistert über das Projekt <w3history> der Deutschen Welle. Welche Ziele und Zielgruppen hat die Site und welche Aufgaben hast Du in dem Projekt übernommen?

GD: »Ziel des Projekts«, heißt es auf der Homepage, »ist es, bis Ende des Jahres« - gemeint ist 1999 - »eine umfassende Darstellung der Internet- und WWW­Geschichte der letzten zehn Jahre vorliegen zu haben.« Das haben wir leider nicht ganz geschafft, die Darstellung für das Jahr 1999 sollte Anfang Januar erscheinen, kommt aber doch erst im Laufe der nächsten Wochen, ungefähr Ende Mai. Zur »Zielgruppe« gehört jeder, der sich für die Geschichte des Internet im allgemeinen und des WWW im besonderen interessiert.

Was meine Aufgabe angeht: <w3history> ist ein Teamwork von Matthias Fichtner und mir. Dabei ist grob gesagt, Matthias für die Technik und für Layout zuständig, ich für den Content. Von mir stammen das ursprüngliche Konzept und sämtliche Texte, Matthias hat aus meinen eher konfusen Vorstellungen eine Website gemacht. Natürlich ist die Aufgabentrennung in der Praxis nicht ganz so streng, inhaltliche und formale Detailfragen klären wir gemeinsam.

KriT: Wie ist die Idee zu <w3history> entstanden und welche Stolpersteine gab es bis zur Realisierung zu überwinden?

GD: Am Anfang stand der Wunsch von Torsten Kroop (dem damaligen Online-Verantwortlichen der Deutschen Welle), im Rahmen des Online-Auftritts der Deutschen Welle ein Special zum 10. Geburtstag des WWW zu realisieren. Wir entwickelten dann das Konzept einer kontinuierlich wachsenden Site, die sozusagen unter den Augen der Besucher entsteht. Es gab keine nennenswerten Stolpersteine, die DW hat uns ziemlich freie Hand gelassen. Da Matthias die benötigte Software für <w3history> kurzerhand selbst entwickelt und geschrieben hat, gab's auch keine Probleme mit fertigen Softwarelösungen. Was nicht heißen soll, daß alles reibungslos verlief, aber die Schwierigkeiten lagen im üblichen Rahmen alltäglicher redaktioneller Arbeit.


»Statt dessen diskutiert man da wie eh und je über das 4. Bit im dritten Byte des Sowieso-Protokolls.«
 

Das größte Problem blieb seltsamerweise aus. Während der Arbeit rechneten wir eigentlich immer damit, daß wir früher oder später von einer richtigen großen Site zum Thema Web-Geschichte platt gemacht würden - aber da kam nichts, gar nichts. Tim Berners-Lee hat ein Buch geschrieben, das war's aber auch schon. Manchmal habe ich den Eindruck, die Netz-Pioniere hätten immer noch nicht begriffen, was für eine gigantische Sache sie da losgetreten haben. Bei keiner der offiziellen Sites findet man mehr als eine Fußnote zum 10jährigen Geburtstag und erst recht keine Überlegungen, was der unglaubliche Erfolg des WWW eigentlich bedeutet und welche Konsequenzen das haben wird und bereits jetzt schon hat. Statt dessen diskutiert man da wie eh und je über das 4. Bit im dritten Byte des Sowieso-Protokolls. Das ist sicher wichtig - aber der technische Aspekt ist eben nur ein Aspekt des Internet - und imho nicht der wichtigste (zumindest nicht der interessanteste).


KriT: Und die Resonanz auf <w3history> bisher?

GD: Internet-Geschichte interessiert im Netz nur eine kleine Minderheit, aber die ist von der Site recht angetan. Wir tauchen inzwischen bei allen möglichen Schul- und Uniprojekten als Standardquelle zur Webgeschichte auf, was uns natürlich freut. Die einzige ernsthafte Kritik kommt aus der Opera-Ecke, da wir uns aus verschiedenen Gründen dazu entschlossen hatten, <w3history> vorerst nur für IE & Navigator zu bauen. Derzeit arbeitet Matthias aber an einer Version 2.0. Wir werden zwar einen Teil der Funktionalität opfern, dafür aber die Site komplett auf PHP und MySQL aufbauen, womit wir flexibler werden und die Browserbeschränkung aufheben können. Danach steht eine Text- only-Version auf der To-Do-Liste. Übrigens nicht für die Lynx-Anwender (die sind uns unter'm Strich egal: Wer einen SchwarzWeiß-Fernseher hat, kann nicht erwarten, daß nun alle die Farben weglassen), sondern für Sehbehinderte und Blinde, die auf <w3history> mit Text-to-Speech-Systemen oder einer Braillezeile zugreifen.


KriT: Fragt man Dich manchmal noch nach Deiner Zeit als Chefredakteur der Pl@net? Was hat Dir das Projekt persönlich gebracht und warum ist es eingestellt worden? War das Ende eine grosse Enttäuschung oder im Nachhinein eher eine Erleichterung, ein Wink, andere bessere freiere Wege zu gehen?

GD: Ja, jetzt zum Beispiel <g> - ich bekomme tatsächlich immer noch, mehr als drei Jahre nach dem plötzlichen Kindstod von pl@net Leserbriefe und Anfragen. Was Anfang und Ende von pl@net angeht - da kann ich der Einfachheit halber auf zwei Interview verweisen, die nach der Einstellung von pl@net für Rewired und Telepolis gemacht wurden.

Am Ende war ich froh, daß es vorüber war. In der Rückschau ist pl@net eine für mich wichtige Entwicklungsphase, danach gab es kein Zurück mehr in den sicheren Hafen des Computerfachredakteurs. Ich war lange Zeit Hardware- und News-Redakteur und hätte das auch wieder werden können: Aber man kann nicht pl@net machen und dann wieder Hardware testen, als sei nichts gewesen. Heute werde ich manchmal ein wenig melancholisch, wenn ich daran denke, welche Möglichkeiten wir gehabt hätten, wenn der Verlag es ernst gemeint hätte. Pl@net hat ja praktisch nichts gekostet - gemessen an den Beträgen, die zum Beispiel Gruner+Jahr oder Milchstraße an Werbung allein für die Erstausgaben von Konr@d bzw. Tomorrow ausgeworfen haben. Wenn die Zahlen stimmen, die man so hört, dann hätten wir mit dem Werbebudget der Markteinführung von Tomorrow pl@net locker 5 Jahre sorgenfrei machen können, ohne auch nur vor 1 Anzeigenkunden einen Kotau machen zu müssen (was ja einfach dazu hätte führen müssen, daß die Anzeigenkunden uns angefleht hätten, ihre Anzeige und ihr Geld zu nehmen <g>. Und wer weiß, was dann alles hätte aus dem Heft werden können (auf jeden Fall etwas, womit sich ein Mäzen a la Gruner gut hätte schmücken und den Markennamen G+J aufpolieren können). Na, tempi passati.


KriT: Du warst auch ein sehr reger Teilnehmer der Mailingliste Webkultur, so um 96/97. Was hast Du aus dieser Zeit in guter und schlechter Erinnerung behalten? Was war DIR wichtig?

GD: Wichtig war und ist in Mailinglisten vor allem das Gespräch mit anderen. Das klingt vielleicht etwas banal - aber es gibt kaum etwas besseres als eine rege Diskussion in einer Mailingliste oder einem Forum, um die eigene notwendige Beschränktheit des eigenen Blicks auf die Welt zu erfahren. Damit ist gar nicht mal eine heile Welt gemeint, in der wir uns alle ganz doll lieb haben, auch wenn wir anderer Meinung sind - man kann einige Teilnehmer in einer Liste auch für veritable Idioten halten, darum geht's nicht: Sondern darum, zu erkennen, daß andere Menschen die Welt anders erfahren und in anderen Welten leben als man selbst.


KriT: Nach Schliessung der ML Webkultur hast Du eine eigene Liste namens Netlife gegründet. Was ist daraus geworden und wie sehen Deine aktuellen Listenaktivitäten aus?

GD: Netlife gibt's inzwischen als Netlife 2.0, die Liste hat rund 120 Teilnehmer und war lange Zeit praktisch tot. Inzwischen hat sie aber einen mäßigen, stetigen traffic. In der letzten Zeit ist es etwas lebendiger geworden und es sieht so aus, als könnte sich in Netlife ein dauerhaftes Gesprächsklima etablieren. Immerhin - es gibt sie noch, was nach vier Serverwechseln in 3 Jahren ein kleines Wunder ist.

Als eher textfixierter Mensch bin ich naturgemäß ein großer Mail- und Listenfan. Mehr oder weniger aktiv bin in ca. 10 unterschiedlichen Listen und betreibe selbst Listen zu Karl Kraus, Arno Schmidt und demnächst zu Christoph Martin Wieland.


»Die Gründung der Mailingliste war gewissermassen die Lösung des Problems...«
 

Die Schmidt-Liste nimmt eine gewisse Sonderstellung ein. Ich habe Schmidt kurz vor und während meiner Studienzeit in einer rund 10 Jahre dauernden Phase geradezu manisch gelesen. Danach hab ich ihn, wiederum rund 10 Jahre, nicht mehr angefaßt. Vor etwa zwei Jahren begann ich allmählich wieder mit der Lektüre und mußte feststellen, daß ich inzwischen zum Outsider geworden war: Ohne Zugriff auf eine Seminarbibliothek und außerhalb aller universitären Zirkel war ich vom Fortgang der Schmditforschung praktisch ausgeschlossen und kriegte nichts mehr mit, keine Veranstaltung, keine Publikation, keine Diskussion - was natürlich ein unbefriedigender Zustand war. Die Gründung der Mailingliste war gewissermassen die Lösung des Problems: Wenn ich nicht mehr Teil der uni-üblichen Informationskanäle war, mußte ich eben einen neuen Kanal eröffnen, bei dem die Kanalarbeiter nicht aus den üblichen Verdächtigen bestehen - das führt fast zwangsläufig zu einer Mailingliste. Jetzt, nach zwei Jahren ASml, hat sich die Liste als virtuelle Diskussionsrunde von Schmidt- Interessierten etabliert. Inzwischen tummeln sich dort rund 260 Leute, es herrscht eine geradezu unheimliche Listendisziplin und fast alle für Schmidt relevanten Organisationen und Gruppierungen nutzen die Liste als Diskussionsforum und zur Ankündigung neuer Projekte (womit meine Erwartungen und Hoffnungen weit übertroffen wurden).


KriT: Wenn Du Deine Erfahrungen mit dem Internet Revue passieren lässt: Was hat Dich überrascht, was richtig geärgert. Was hast Du vorhergesehen, was ganz und gar nicht erwartet. ;-)

GD: Die technische Entwicklung läßt mich eigentlich kalt, da überrascht mich kaum etwas (obwohl - die Mini-Computer a la Palm find' ich klasse, ein wichtiger und richtiger Schritt Richtung Trikorder, der ja irgendwann einfach kommen muß, genauso wie das MHN), und so richtig ärgern kann ich mich über diverse Torheiten auch nicht, dergleichen gehört zum Weltlauf und wird am besten achselzuckend zur Kenntnis genommen. Ganz anders sieht die Sache allerdings beim Einfluß der Technik auf mein Leben aus - und da stelle ich doch etwas verblüfft fest, wie sehr mein Tun & Treiben mit dem Netz verwoben ist. Das betrifft nicht nur meinen Brotberuf als Fachautor für Computer- und Netzthemen, sondern reicht bis in scheinbar eher netzferne Gefilde. Mit der ASml ist es mir zu meiner eigenen nicht geringen Überraschung zum Beispiel gelungen, an längst liegengelassene, ja gekappt geglaubte Fäden meiner Studienzeit anzuknüpfen. Fast könnte man auf die Idee kommen, es hätte den zehnjährigen Umweg über die Technik gebraucht, damit ich ein paar Vorstellungen meiner Studienzeit realisieren kann.

Entsprechend ärgerlich werde ich, wenn mich die Technik im Stich läßt: Nicht antwortende Server, überlastet Website, Systemabstürze und ähnliches mehr können mich wahnsinnig machen.


»Ich finde es einfach sehr schade, wenn jemand noch nicht einmal ahnt, welche Wort- und Wunderwelten es jenseits des alltäglichen Einerleis gibt.«
 

KriT: Du lädst einen sehr sympathischen Menschen in Deine Wohnung ein, um ihn kennenzulernen. Wie gibt sich Giesbert Damaschke privat, was erzählt er über sich, was zeigt er und wie lange nimmt er sich Zeit. :-)

GD: Der muß mir aber schon wirklich sehr sympathisch sein, bevor ich ihn in meine viel zu vollgestopfte und gandenlos unordentliche 2,5- Zimmer-Wohnung einlade. Worüber wir reden würden, ist schwer zu sagen, wahrscheinlich nicht über Computer, auch nicht über das Internet, zumal in der Wohnung nur ein eher unauffälliges Notebook steht und die derzeit rd. 2500 Bücher den Eindruck bestimmen. Bücher bzw. Literatur wäre natürlich ein Thema, Filme, Comics, wortwörtlich wohl Gott & die Welt. Vielleicht würde ich was vorlesen (aber da bin ich sehr aus der Übung), oder ein paar überaus lustige Aufnahmen vorspielen, etwa die Fußballmontagen von Ror Wolf. Es gibt so viele schöne & amüsante Sachen, die leider viel zu viele Menschen nicht kennen, daß ich da manchmal regelrecht einen mir sonst völlig fremden missionarischen Eifer entfalte. Ich finde es einfach sehr schade, wenn jemand noch nicht einmal ahnt, welche Wort- und Wunderwelten es jenseits des alltäglichen Einerleis gibt.


KriT: Stehen neue Projekte an, hast Du Ideen, die sich aus Mangel an Zeit und Geld nicht realisieren lassen?

GD: Ich würde gern mal einen wirklich großen Internet- Auftritt zum Thema Arno Schmidt & Umfeld realisieren. Mir schweben da verschiedene Dinge vor, die aber allesamt nicht spruchreif sind. BOD finde ich auch sehr reizvoll und das werde ich wohl im Laufe des Jahres mal ausprobieren. Geldmangel wäre (wie ja fast immer) eine faule Ausrede, mir fehlt es eher an Zeit und vor allem an der nötigen Disziplin (ich bin ein langsamer und fauler Arbeiter).


KriT: Zuguterletzt: Welche Websites besuchst Du regelmäßig, welche boykottierst Du und welche haben Dich einfach für einige Zeit begeistert?

GD: Die Antwort auf alle Fragen: Wenige. Ich nutze regelmäßig verschiedene Info-Sites mit Fahrplänen, Kinoprogrammen, Tageszeitung, Texten (ein gutes Gespann: Gutenberg & Palm V) und so weiter und so fort. Webseiten als Webseiten, also als ästhetisches Ereignis, langweilen mich wie fast alle Versuche, das Netz als musikalische, literarisches oder künstlerisches Medium zu benutzen.

KriT: Vielen Dank für das Interview. :-)


http://www.damaschke.de/
http://www.w3history.org/



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