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Online Virus

Olivia Adler über die Faszination der Mailboxen und ihr virtuelles »Café Nirvana«. Netzerfahrung pur und Online-Lust!


KriT: Café Nirvana heißt Dein aktuelles Projekt, ein "virtuelles Café", konzipiert als Site von und für webbegeisterte Netizens. Wie ist dieses Projekt entstanden?

Olivia: Eher zufällig. Café Nirvana hat mehrere Wurzeln. Als ich im Dezember 1997 diese Website »gründete«, hatte ich bereits eineinhalb Jahre etwas völlig anderes laufen, eine Website über den Schauspieler Brent Spiner, die erst auf Compuserve, dann auf AOL und schließlich auf einer eigenen Domain beheimatet war. Das war soweit auch ganz nett, und man lernte dadurch viele Menschen kennen, vor allem in den USA, aber es war auch ein reines Serviceangebot, in das ich nicht viel Eigenes einbringen konnte. Und dann gab es noch eine private Homepage, die aber eher unbeachtet und konzeptlos vor sich hinkümmerte.

 

Olivia Adler

 

Angeregt durch meine Spiner-Brieffreundinnen, die irgendwann mal den Ausdruck »Livi's Dreamland« aufgebracht hatten, trug ich mich dann mit einer neuen Idee - einer eher meditativen Website mit Bildern, Farben, Tönen, Texten, mit dem Ziel, Leute, die gerade bedrückt sind, etwas aufzuheitern. Parallel dazu arbeitete ich seit Monaten schon an einem utopischen Roman mit dem Arbeitstitel »Cyberia«, der im Internet der Zukunft spielen sollte und in dem ein zentraler Schauplatz ein Kaffeehaus im Cyberspace ist, das »Café Nirwana« - der Name entstand übrigens aus einer spontanen Eingebung heraus. Ein klares Konzept hatte ich allerdings noch nicht, also suchte ich erstmal nach einem freien Domainnamen. Und wie's so geht - natürlich war »Cyberia« schon weg, mit allen denkbaren Endungen, auch »Dreamland«, nicht mal »Olivia« gab es noch! (ich suchte nach internationalen Endungen, da dies ein internationales Projekt sein sollte).

Irgendwann kam ich dann auf die Idee, doch mal cafe-nirvana.com zu probieren - und siehe da, der Name war noch frei. (Ein weiterer unbeabsichtigter, aber sehr angenehmer Nebeneffekt ist übrigens, daß durch die amerikanische Schreibweise von »Nirvana« jede Menge Besucher den Weg ins Kaffeehaus finden, die eigentlich nach dem Sänger Kurt Cobain und seiner Gruppe Nirvana suchen ... ich suche immer noch nach jemandem, der Lust hat, eine Kurt-Cobain-Ecke zu verwalten ...).

Das passierte irgendwann um zwei Uhr nachts - dank Internet ließ sich alles per Formular und e-mail abwickeln, und bereits am nächsten Morgen war die neue Domain online. Und der Name gab das Programm eigentlich schon vor - ein entrückter Ort, jenseits von Zeit und Raum, ein Ort der Begegnung im Cyberspace, der inmitten einer hektischen »klick-mich« Welt zum Innehalten einladen sollte. Und ausgehend von der Romanhandlung, bei der virtuelle Realität ein tragendes Thema ist, war für mich auch klar, daß die Menüs eine entsprechende Stimmung vermitteln und daher wie Räume aufgebaut sein sollten.

 

 

Ein ähnliches Projekt hatte ich bereits 1992 mit einer Mailbox verfolgt, der »Villa Maria«, wobei ich da allerdings wegen der gestalterischen Beschränkungen (DOS ANSI) auf die grafischen Menüs verzichtete. Die Gestaltung ergab sich wieder eher zufällig, da ich aufgrund meines Umzuges noch den 3D Wohnungsplaner von Data Becker auf der Platte hatte und feststellte, daß man diese Software recht gut zum Kreieren virtueller Umgebungen »mißbrauchen« konnte. Ein bißchen kommen da Erinnerungen an die Kindertage hoch, als man mit Bauklötzchen spielte und ganze Städte und Burgen konstruierte, kleine Welten, die man in dem Moment auch bewohnte.

VRML wollte ich bewußt nicht einsetzen - die Performance und Zuverlässigkeit sind nach wie vor unbefriedigend. Was das Konzept und die Gestaltung anging, hatte ich zwei Vorbilder - Ira Brickman's Ambit - The Web Way Station und Rick van Koert's »Castle«, eine Art Bilderrätsel auf seiner Fantasy Females Website. Beide haben mir auch nicht nur in der Anfangsphase hilfreich mit Rat und Tat - und manchmal einfach nur Inspiration - unter die Arme gegriffen.

Als erstes fand schon mal die Bibliothek ein Zuhause im Kaffeehaus, und alles Weitere sollte sich finden. Ich wollte mich überraschen lassen, was im Zusammenspiel mit den Besuchern aus diesen Seiten werden würde.

 


Cafe Nirvana

 

KriT: Und was ist bis heute daraus geworden? Wie ist z.B. der Roman angekommen? Lesen die Besucher auf einer Site, die sehr visuell angelegt ist?

Olivia: Oh oh ... das ist ein heikles Thema ;) Ich bin meistens zu bequem, um meine Server-Logs zu analysieren (leider macht das kein Tool für mich), aber ab und zu kommt ein Feedback, und daraus schließe ich, daß die Mehrheit sich eher wünscht, die Texte als bequeme Zip- Päckchen downloaden zu können. Ich werde das in Zukunft also auch anbieten.

Generell habe ich fast nur dann Feedback bekommen, wenn ich darum gebeten habe, und dann auch meist von Leuten, die ich in der einen oder anderen Form schon kannte. Der Chat hat sich inzwischen zum virtuellen »Stammtisch« eines kleinen Freundeskreises entwickelt, der zum Teil auch noch aus alten Mailboxzeiten stammt und in dem sich die meisten Teilnehmer auch persönlich kennen. Allerdings kommt es auch immer wieder mal vor, daß Leute zu mir sagen »ach du bist die mit dem Café Nirwana«, und es freut einen schon, wenn man merkt, daß die Seite sich in gewisser Weise »etabliert« hat. Es reicht aber einfach auch nicht, sich nur mit der Seite ins Netz zu stellen und zu hoffen, daß sich der Rest von selbst ergibt - wenn ich Beiträge für das Kaffeehaus will, gehe ich nach wie vor auf Leute zu, von denen ich mir welche wünsche, und meistens ist die Antwort dann auch positiv.

Was den Roman angeht, kam das Feedback dann, wenn ich ihn ganz konventionell als Datei per e-mail verschickt habe, obwohl sich tatsächlich auch ein paar Leser in den Updateverteiler des begehbaren Romans eingetragen haben und im persönlichen Gespräch (zum Beispiel bei einer »Live-Demo« anläßlich eines Netzliteratentreffens in Konstanz) dann auch neugierige Fragen und positive Resonanz (aber auch konstruktive Kritik) kamen. Generell fällt mir auf, daß das Feedback dann häufig zu Fragen wie Aufbau und Layout kommt, aber nichts zum eigentlichen Inhalt des Textes, der Geschichte selbst - was mich doch arg ins Nachdenken bringt.

Wobei, auch wenn das Kaffeehaus eine Bibliothek und Lesestoff bietet, ist das nicht das Entscheidende - so wie ja auch in einem realen Kaffeehaus Zeitungen und ein paar abgegriffene Taschenbücher auf den Tischen herumliegen oder an der Wand hängen können, in die man dann einen Blick wirft, um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben. Der Schwerpunkt liegt auf dem »Erlebnisraum«, den Vorstellungen und Assoziationen, welche die einzelnen Räume hervorrufen können, wobei auch die immer wieder lose eingestreute Midi-Hintergrundmusik helfen soll.

In Zukunft verspreche ich mir mehr von den Gästezimmern - ich hatte im Vorwort angeboten, daß Gäste einen eigenen Raum im Kaffeehaus beziehen können und das zunächst nur als eigene Verzeichnisse angedacht, mit einer Titelseite, deren Gestaltung dem jeweiligen Gast überlassen sein würde.

Dann kam eine Mail, über die ich mich sehr freute, weil sie von einem »unbeteiligten« Besucher kam, Stefano Gambini aus Italien. Er fragte, ob er zwei Gedichte beitragen dürfe, und natürlich sagte ich begeistert "»ja«. Aufgrund dieser Gedichte begann ich ihm ein Räumchen einzurichten, das auch ihm selbst gerecht werden sollte (unter anderem habe ich jede Menge Seiten mit italienischen Midi-Files abgegrast, bis ich die passende Hintergrundmusik gefunden hatte), als Dankeschön fürs Mitmachen. Hinter den einzelnen Objekten in diesem Raum verbargen sich dann die Gedichte. Stefano freute sich über seinen Raum und trug noch ein weiteres Gedicht bei, und ich freute mich, daß er sich dort wohlfühlte. Es war tatsächlich so, als ob das Kaffeehaus plötzlich einen Bewohner hätte - da war sie, die Interaktivität, und auch etwas mehr, was sich in keiner Besucherstatistik messen läßt.

Auch wodile beteiligte sich mit mehreren Gedichten und bekam einen virtuellen Waschkeller, und ich kam mir vor wie jemand, der für Weihnachten Geschenke bastelt und gespannt auf den Moment des Auspackens wartet. Insofern bewegen sich die Räume inzwischen auch mehr in die Richtung »Geschenke für Netzfreunde« - Christoph Berndt machte den Anfang, aber auf der Liste stehen inzwischen schon drei weitere Personen, die ich schätze und denen ich ein Gästezimmer versprochen habe, teils als Dankeschön, teils einfach als Ausdruck meiner Wertschätzung. Insofern kann man diese Räume als »Portraits« der Menschen bezeichnen, die sie »bewohnen«, und wer sich ein wenig Zeit nimmt, wird beim Begehen der Räume auch einiges über ihre Bewohner erfahren.

Trotzdem ist das Konzept nach wie vor offen: jeder, der etwas beitragen will, ist herzlich dazu eingeladen. Im Moment bin ich in Kontakt mit einigen Midi-Komponisten, um weitere »Konzerte« veranstalten zu können (John Roache mit seinen Ragtime Midis ist schon seit einigen Monaten im Kaffeehaus vertreten), und bis auf einen, den Copyrightsorgen quälen, machen auch alle gerne mit.

 

 

KriT: Mailboxen! Das geht ja mit Dir in die Urzeit der Vernetzung zurück ;-) Welche Bedeutung hatten Mailboxen für Dich?

Olivia: Eine sehr große. Mailboxen haben mich von Anfang an fasziniert. Spätestens seit ich »Wargames« gesehen hatte, wollte ich ein Modem (bzw. damals noch einen Akustikkoppler) haben, aber mein erster Vorstoß 1990 stieß auf väterlich-begütigenden Widerstand beim Fachhändler: »Machen's das nicht, das macht Sie arm. Die Telefonkosten ...« (Wie recht er hatte, zeigt mir ein Blick auf die letzte Telefonrechnung ;) ).

Aber der Online-Virus hatte mich bereits angesteckt, und so kaufte ich dann doch im Frühjahr 1992 mein erstes Modem - berauschende 2400 Baud schnell und so teuer wie heute ein 54K Modem. An meinen ersten Onlinechat kann ich mich auch noch gut erinnern - mit einem Sysop in Aachen. Ich hatte nur eine Mailboxnummer in Aachen mit dem Modem geliefert bekommen, so daß meine erste Telefonrechnung 200 DM hoch war - erst eine Mailboxliste in der tz eröffnete mir Perspektiven in der näheren Umgebung ;). Dieser Chat hatte für mich etwas Magisches - wie von Geisterhand erschienen da gelbe Zeichen auf schwarzem Grund, der Onlinevirus hatte mich endgültig in seinen Klauen.

Dann erkundete ich die Münchner Mailboxlandschaft, und schnell fielen mir zwei Dinge auf: Mailboxen wurden von (immerhin sehr netten und hilfsbereiten) Männern betrieben, und außerdem bestand das Angebot im wesentlichen aus Shareware und Bildern von mehr oder weniger bekleideten weiblichen Wesen. Und da ich mich nie lange mit Zusehen begnügen kann, sondern lieber selber machen will, besorgte ich mir in meiner Stammbox eine weitverbreitete Mailboxsoftware und zog mit Hilfe von mehreren hilfsbereiten Sysops meine eigene Mailbox auf - »Villa Maria - die erste Box im Wald«. Der Grundgedanke war, eine Literatur- und Messagebox anzubieten, denn wenn auch die meisten Mailboxen Anschluß ans Fidonetz boten (in seiner Struktur in etwa dem Usenet vergleichbar), war die interne Kommunikation in den meisten Fällen doch eher dünn. Die Box war aufgebaut wie ein kleines Häuschen, und diese behagliche Atmosphäre zog auch schnell die ersten Besucher an. Außerdem erholte sich meine Telefonrechnung, da ja nun die Leute bei mir anrufen mußten. Allerdings war schnell eine zweite Telefonleitung notwendig, aber das kostete nur knappe 11 DM im Monat, also auch kein Thema. Es war deutlich billiger als Web-Publishing. ;)

 

 

Übrigens waren die Kontakte zu den Gästen (in gewisser Weise waren es wirklich Hausgäste, denn immerhin bewegten sie sich ja auf meinem eigenen Computer) wesentlich intensiver als jetzt im Internet, schnell ergaben sich ausführliche elektronische Briefwechsel, einige schütteten ihr Herz aus, erzählten ihre Lebensgeschichte, fingen ihre erste Geschichte zu schreiben an oder man unterhielt sich einfach nur nett. In der »Szene« traf man sich auch - so gab es z. B. regelmäßig den Sysop-Stammtisch der Mailboxen Kloster Eichenau und Firehouse FFB (beide Mailboxen existieren übrigens heute noch), bei dem man dann endlich die Gesichter hinter den Namen und den Stimmen am Telefon kennenlernte. Aus manchem Kontakt entstanden Freundschaften, die noch heute bestehen.

Was ich heute als Web-Anbieter im Vergleich zu den alten Mailboxtagen am meisten vermisse, ist, daß trotz der höheren Zugriffe die Besucher heute Zahlen sind, IP-Adressen in einer Statistik, die man nur in Einzelfällen an der Serveradresse identifizieren kann, oder wenn sie eine Mail hinterlassen, und früher hatten sie Namen, man sah genau, »aha, der Andreas Müller war heute um 14 Uhr in der Box« und nicht mun2.compuserve.com - war das nun der Andreas oder vielleicht jemand anderes?

Auch Mailboxen sind keine Inseln - sie sind vernetzt untereinander. Da gab es etwa das lokale »AmperNet«, das sich auf Mailboxen im Brucker Raum beschränkte (obwohl wir dann umzugsbedingt auch eine Dependance in Hamburg hatten), oder auch das deutschlandweite KultNet (wie der Name schon sagt, ein Netzwerk von literarisch und kulturell orientierten Mailboxen), die gemeinsame Nachrichtenbretter hatten zu Themen aller Art, in denen sich die Betreiber und User untereinander austauschten - und in denen z. B. auch Onlineliteratur geschrieben wurde.

Einige KultNetler findet man auch im Internet wieder, so z. B. Andreas Winterer , der auch für Zyn! schreibt, oder Hubert Brentano (beide sind auch Besucher des Cafe Nirwana).

Die meisten dieser Boxen waren gleichzeitig auch im weltweiten FidoNetz vertreten - auf diese Weise lernte man vieles über Netzgrundlagen, die im Internet ähnlich gelten (Points, Nodes, Backbones etc.). Zu meinen Fido Stamm-Brettern zählten frust.ger, autoren.ger, frauen.ger, ladies.ger, auto.ger, natürlich startrek.ger und politik.ger, außerdem ASIAN_LINK, ein Brett, in dem Menschen aus aller Welt mitschrieben und in dem ich auch meinen ersten Mailkontakt in die USA fand. Während des Krieges in Jugoslawien, als die offiziellen Kanäle immer wieder versiegten, wurden häufig Lageberichte mittels privater Mailboxnetze verbreitet, und an manchen Tagen probierte ich die internationale Fido-Nodeliste durch und wählte mich interessehalber in Mailboxen in Rußland oder USA ein, wobei diese Besuche aufgrund der hohen Telefonkosten natürlich nur kurz sein konnten.

Nach und nach schlossen einige von uns ihre Mailboxen - mal war die Arbeit schuld, die zu wenig Zeit ließ, mal hatte der Sysop keine Lust mehr, oder die unklare Rechtslage verdarb einem den Spaß - so hing z. B. die Nodeliste des AmperNet mit allen Telefonnummern (meiner eingeschlossen) eine Weile an der Pinwand der Kripo in München, da gegen einige Boxenbetreiber wegen des Vertriebs von Raubkopien oder Pornographie ermittelt wurde und einige bekannte Sysops Hausdurchsuchungen erlebten, bei denen ihre PC's konfisziert wurden.

Das Gefährliche an der damaligen Situation war, daß man theoretisch einem ungeliebten Sysop eine Menge Ärger machen konnte, indem man ihm rechtlich bedenkliches Material auf die Platte lud (die meisten Boxen hatten ein Upload-Verzeichnis, auf das allerdings meist keine öffentlichen Leserechte bestanden) und dann die Polizei informierte, bevor der Sysop überhaupt merkte, welches Kuckucksei ihm da ins Nest gelegt worden war.

Und gerade am Anfang hatten einige auch eine »restricted area« für Stammgäste, in der jede Menge Originalsoftware angeboten wurde (heute nennt man das Warez). Auch damals lagen Raubkopien und x-rated Bildmaterial meist nah beieinander, aber um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, das war nur bei einzelnen Mailboxen der Fall - leider mußte man als Mailboxbetreiber immer auch gegen ein gewisses »Hacker-Image« ankämpfen, vor allem in der Arbeit, wo ich natürlich sofort das »Freak«-Etikett anhaften hatte, als man erfuhr, womit ich mich in meiner Freizeit beschäftige. Dabei waren gerade die Mailboxrechner wesentlich besser gegen Viren gesichert als so mancher Firmencomputer, schließlich wollte kein Sysop seine Besucher verärgern.

Als dann auch das Bereitstellen von Texten (und da gab es eine Menge Texte, von Festplattendaten über Witzesammlungen bis zu Geschichten aller Art, bei denen das Copyright nicht klar geregelt war) dubios wurde und man fürchten mußte, sogar dafür belangt zu werden, den Norton Commander als Dateiverwaltungstool auf dem Boxrechner zu haben (weil angeblich rein theoretisch ein User sich auf die DOS-Ebene hätte hacken können und die Originalsoftware laden) und mit der langsam aufkommenden Popularität des WWW auch die Besucher weniger wurden, war es Zeit, die Villa Maria in den Ruhestand zu schicken und nur noch als »Point« an der Kommunikation in den Mailbox-Netzen teilzunehmen. Auch damals mußte man für das Lesen und Beantworten der Mail gut 1 Stunde am Tag rechnen ... meistens war das die erste Aktion des Tages noch vor dem Gang ins Büro.

Ende 1995 gab es dann dank Compuserve Internet für alle ... und das bedeutete dann auch für mich die ersten Schritte im WWW, wo ich mich auch nicht mit der Rolle des Nur-Konsumenten zufriedengeben wollte. Und über kurz oder lang trafen sich die versprengten Aktiven im Web wieder.

Die Mailbox schlummert übrigens immer noch voll funktionsfähig mit kompletter Filebase auf meinem alten PC - ich wollte sie nie ganz plattmachen und möchte mir auch heute die Option offenhalten, sie eines Tages wieder zu eröffnen, denn trotz aller WWW- Begeisterung ist die Mailboxszene nach wie vor am Leben. Wie heißt es so schön? »Totgesagte leben länger.« :)

 

 

KriT: Du hast ja recht viele Kontakte über den großen Teich. Welche Unterschiede gibt es? Ist Homepaging und Vernetzung dort etwas anderes als hier?

Olivia: Im Prinzip nein, aber generell gehen die Leute in den USA unkomplizierter und selbstverständlicher mit dem Medium um. Das hat sicher auch was mit den wesentlich geringeren Kosten zu tun - die Leute gehen morgens online und bleiben dann drin, während sie Kaffee kochen oder staubsaugen, und zwischendrin schauen sie mal schnell nach der E-Mail. Oder sie chatten stundenlang, ohne sich um Gebührenzähler zu kümmern. Das Netz ist dort schon seit langem ein Teil des Alltags und wird nicht groß diskutiert. Man nutzt es einfach, als Kommunikations- und Informationswerkzeug - und natürlich zur Unterhaltung.

Bedingt durch das gemeinsame Thema Brent Spiner (»Data« in Star Trek) hatte ich überwiegend Kontakt zu Frauen, ca. 90% meiner Gesprächspartner in Übersee waren weiblich (hauptsächlich USA, aber auch Japan und England). Die Mädels bauten fleißig und ohne Berührungsängste ihre eigenen Homepages, während in Deutschland noch gegrübelt wurde, warum sich so wenige Frauen ins Web trauen. Die meisten von ihnen waren wie ich auf AOL, und wir trafen uns einmal die Woche zu einem ca. zweistündigen Chat (für mich war das wegen der Zeitdifferenz allerdings ungünstig, weil das bedeutete, daß ich von 1-3 Uhr nachts online sein mußte, allzulang hielt ich das daher auch nicht durch).

Innerhalb der Interessensgebiete (z. B. Star Trek) kennt man sich dann auch schnell, das ist nicht anders als in der deutschen Homepageszene, allerdings ist in Deutschland die Onlinewelt doch noch wesentlich kleiner, gerade im Bereich Webdesign trifft man dann doch immer wieder auf die gleichen Namen.

Was mich besonders überraschte, war die Offenheit und bedingungslose Hilfsbereitschaft, die mir entgegenschwappte. Man schickte mir Fotos, Informationen, Zeitschriften, ohne irgendwelche Ansprüche zu stellen, jedesmal, wenn ich fragte, »was schulde ich dir?«, kam ein »Nichts, ist schon okay«, zur Antwort. Natürlich revanchierte ich mich bei nächster Gelegenheit, aber diese großzügige Grundhaltung fiel mir immer wieder angenehm auf. Ich habe dann auch viele meiner Brieffreundinnen persönlich getroffen, anläßlich von Conventions oder anläßlich einer Aufführung am Broadway, und wir hatten eine gute Zeit miteinander, es war, als wenn man alte Freunde treffen würde, trotz unserer verschiedenen Temperamente und Nationalitäten haben wir uns hervorragend verstanden. Hier spielt natürlich auch mit, daß die Amerikaner bekannt für ihre freundliche, offene Art sind, die zum Teil einfach auch Höflichkeit ist. Man sollte die Aufforderung »übernachte doch bei uns, wenn du mal in der Gegend bist« daher auch nicht zu wörtlich nehmen ;).


KriT: mephistopheles.de heißt eine recht neue Domain von Dir. Dort stellst Du minimalistisch orientiert Deine Webarbeit vor. Welche Ansprüche hast Du an professionelles Webdesign und in welche gestalterische Richtung arbeitest Du weiter?

Olivia: Professionelles Webdesign bedeutet für mich: klar strukturierte Seiten, die ergonomischen Anforderungen nachkommen, aber sich gleichzeitig im Stil am darzustellenden Inhalt orientieren.

Außerdem dürfen die Seiten nicht nur mit den neuesten Browsern und Plugins gut aussehen (ganz besonders liebe ich Seiten, die mir erzählen, daß ich leider den falschen Browser benutze), und der Blick in den Quellcode sollte keine Gänsehaut hervorrufen.

 

 

»Form follows function« - der Hauptzweck einer Website ist in der Regel, Informationen bereitzustellen, und dazu gehört eine durchdachte Navigation, die dem Besucher ermöglicht, die gewünschte Information möglichst schnell zu finden und problemlos aufnehmen zu können. Das bedeutet auch: sinnvoller Einsatz von Grafiken (Negativbeispiel: Hewlett Packard - warum setzt man hier eine Grafik fürs Menü ein?), lesbarer Text (Mini-Schrift, möglichst noch grau auf schwarz, ist zwar schick, aber eine Qual für die Augen - entschuldbar bei Bilduntertiteln, wenn man will, daß die Schrift kaum wahrgenommen wird), Multimedia-Gimmicks nur dann, wenn sie in irgendeinem Zusammenhang zum Inhalt stehen - so kann ein Java-Applet, das die aktuellen Nachrichten auf den Bildschirm liefert, z. B. durchaus sinnvoll sein, aber nicht, um nur eine Überschrift zu animieren. Das gilt natürlich nicht für Websites von bildenden und anderen Künstlern oder Fotografen etc. oder für Erlebnisräume (Tip: http://www.nirvanet.net, eine Welt für sich), bei denen das Bild (und/oder der Ton) im Vordergrund steht.

Wichtig finde ich auch Originalität - am Anfang kopiert man fast zwangsläufig seine Designvorbilder, aber nur wirklich gute Webdesigner schaffen es, dann einen eigenen, unverwechselbaren Stil zu entwickeln.

Als gelungen würde ich bezeichnen: nach wie vor deine Seiten (die für mich immer noch Vorbildcharakter haben), Gerd Marstedts The Fine Site , Dunkel Webdesign (sehr einfach und klar, mehr ist aber hier auch nicht nötig), Mr. Showbiz (seit 1 Jahr unverändert, aber immer noch frisch und aktuell), Entertainment Online, und auf jeden Fall smart, einfach, aber pfiffig, bleibt im Gedächtnis; deren Slogan »reduce to the max« ist auch das Motto für das simple, aber stilsichere Layout. Auch David Bowies bowienet hat mich beeindruckt - von solchen Seiten lasse ich mich gerne anregen. Allerdings gilt auch hier: nicht alles, was schick ist, ist auch gut lesbar. ;)

In welche gestalterische Richtung ich weiterarbeite, kann ich nicht genau sagen, da das Web genau wie die übrige Welt Moden unterworfen ist und man sich von diesen Einflüssen nie ganz freimachen kann - oder will. Momentan arbeite ich daran, meine Technik zu perfektionieren - das Design wird sich dann immer auch aus der jeweiligen Aufgabenstellung ergeben. Und da hoffe ich noch auf viele neue Aufgaben.


KriT: Mit Deinem Kaffeehaus als Ort der Begegnung triffst Du sicherlich auf Surfer verschiedenster Coleur. Was hast Du bisher positives wie negatives erlebt?

Olivia: Die direkten Rückmeldungen auf die Website sind eher neutral - sehr erfreulich sind natürlich lobende Mails, die zum Weitermachen anregen, negatives Feedback kam da noch nicht. Problematischer wird es eher im weiteren Umfeld, in Kontakten, die sich um das Projekt herum ergeben, ganz besonders ist mir das im Star Trek Fandom (Fandom = Gemeinschaft von Fans) aufgefallen, aber auch in allgemeineren Bereichen oder mit Besuchern der Mailbox. E-Mail und Chat sind ein sehr schnelles, unmittelbares Kommunikationsmedium, und man muß den verantwortungsvollen Umgang damit lernen, weniger durch Handbücher als durch - manchmal schmerzhafte - Erfahrung. Die scheinbare Anonymität verleitet dazu, sehr schnell persönlich zu werden.

Man schenkt dem körperlosen Gesprächspartner viel Vertrauen, ohne ihn genau zu kennen. Oft weiß man nicht einmal mit Sicherheit, ob die Person das ist, was sie zu sein vorgibt - gerade im Internet ist es ja leichter als anderswo, eine "falsche Identität" aufzubauen.

Da gibt es etwas, was ich als »Zeitraffer-Effekt« bezeichne und was ich vor allem in der Mailbox (als »Sysop« hat man scheints einen besonderen Vertrauensbonus) erlebt habe: man wird angeschrieben, es ergibt sich ein e-mail Briefwechsel, der sehr intensiv und auch häufig sehr intim ist, man vertraut sich Dinge an, die man flüchtigen Bekannten in einer alltäglichen Umgebung nicht erzählen würde, und nach ein paar Wochen ist der Kontakt *buff* plötzlich weg, die Luft ist raus. Eine E-Mail ist schnell geschrieben und schnell verschickt - und schnell bereut. Aber anders als ein unbedachtes Wort lebt sie beim Empfänger oft länger weiter, als einem lieb ist und kann nicht mehr kontrolliert werden.

Die Hemmschwelle liegt wohl etwas tiefer, wenn man elektronisch kommuniziert, nur so läßt sich für mich erklären, daß es zu erbitterten Kämpfen, Haßmails, Indiskretionen oder auch einfach bösen Mißverständnissen und Unachtsamkeiten kommen kann, die in der Form nicht geschehen würden, wenn man sich gegenübersitzen und miteinander reden würde. Man muß sich immer wieder klarmachen, daß am anderen Ende der Leitung auch ein Mensch mit Gefühlen sitzt - kürzlich schrieb mir jemand, den ich auf ein sehr aggressives Foren-Posting ansprach: »Das Ende ist so weit weg. Und ein Bildschirm ist auch dazwischen.«

Elektronische Kommunikation verführt auch dazu, Emotionen jeder Art zu übertreiben und zu weit zu gehen, weil die direkte persönliche »Rückmeldung« fehlt (keiner bremst einen, keiner fällt einem ins Wort), und das in einem technischen Medium, das jede Äußerung aufzeichnet - würdest du dich in einem Raum frei unterhalten können, in dem ein Band mitläuft? Sicher nicht - aber in den meisten IRC's läuft ein Logfile mit ...

Inzwischen kann ich nur noch dazu raten, E-Mail-Kontakte mit einer gewissen Behutsamkeit anzugehen und ihnen Zeit zu lassen, sich zu entwickeln - und mal eine Nacht drüber zu schlafen, bevor man eine im Affekt geschriebene Mail verschickt. Für einen handgeschriebenen Brief muß man sich Zeit nehmen und ihn zum Briefkasten tragen, und das hat sein Gutes. Auch im Cyberspace brauchen Freundschaften Zeit, um zu reifen. Und meistens bleibt es dann auch nicht bei der rein elektronischen Kommunikation.

Zu meinen positiven Erfahrungen gehört, daß das Internet eine gute Möglichkeit bietet, Menschen mit gleichen Interessen zusammenzuführen und Kontakte zu knüpfen, besonders, weil man sich über soziale und räumliche Schranken hinwegsetzen kann.


KriT: Damit Du auch morgen noch kraftvoll zubeissen kannst, bekommst Du nun bald einen knackigen KriT-Apfel zugeschickt. Wird er Dir munden?

Olivia: Danke, ja! Äpfel sind doch voller Vitamine und aufbauend, und über diesen freue ich mich ganz besonders. Wie wodile schon über seinen Apfel sagte, es ist eine sehr persönliche Auszeichnung, die einen zum Weitermachen ermuntert und einem das Gefühl gibt, daß die Arbeit im Web nicht umsonst ist. Ich sehe darin auch die Verpflichtung, den selbstgesetzten Maßstäben gerecht zu werden und dafür zu sorgen, daß das Projekt Cafe Nirwana wächst und gedeiht. Der KriT-Apfel wird jedenfalls einen Ehrenplatz im virtuellen Garten das Kaffeehauses erhalten. Es ist auch eine schöne Assoziation: als Kind hatte ich ein Märchenbuch »Die Großmama im Apfelbaum« - es ging darin um einen kleinen Jungen, der sich im Apfelbaum immer mit seiner Oma traf, die nur in seiner Phantasie existierte, mit der er aber spannende Abenteuer erlebte, bis er dann eines Tages in der lieben Nachbarin eine leibhaftige Oma fand und die Großmama im Apfelbaum nicht mehr ständig brauchte. Und ein bißchen träumen dürfen wir ja auch im weltweiten Netz.


KriT: Danke für das spannende Interview.


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