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Interview Index - 25.06.2002
Suhrkamp hat immer recht
Philip Roeder, tätig in der Geschäftsleitung des Suhrkamp Verlags, über eine Abmahnung gegen Jörg Kantel alias Schockwellenreiter und Walsers »Tod eines Kritikers«.
 
krit: Was hat die Geschäftsleitung dazu bewogen, die Abmahnung gegen Joerg Kantel zurückzunehmen? Haben die negativen Reaktionen und diverse Boykott-Aufrufe im Internet die Entscheidungsfindung beeinflusst und beschleunigt?

Philip Roeder: Die Abmahnung wurde nicht »zurückgenommen«. Da Herr Kantel ihr durch die umgehende Entfernung des Links nachgekommen ist und auch durchaus mit Verständnis auf unser Vorgehen reagiert hat, haben wir uns im Gegenzug darauf geeinigt, ihm die Rechtsanwaltgebühren zu erlassen. Dem Verlag ging es ja auch nicht darum, sich mittels Abmahnungen zu »bereichern«, so wie das an einigen Stellen kolportiert wurde, sondern lediglich darum, urheberrechtlich geschützte Texte vor unrechtmäßiger Verbreitung oder Verwertung zu bewahren.


krit: Ihrem Verlag wird vorgeworfen, dass er die unerlaubte Verbreitung des Manuspriptes provoziert habe, schliesslich hat er es an etliche Journalisten über das Internet verteilt. Das wiederrum zehre an seiner Glaubwürdigkeit und läßt zudem vermuten, dass es sich hier um eine Marketingstrategie handelt, die den Skandal provoziere, um die Auflage zu steigern. Wie sehen Sie das?

Philip Roeder: Die »Verteilung« des Textes als eMail-Attachement erfolgte aus einem Sachzwang heraus. Frank Schirrmacher hatte in der FAZ vom 29.5. Walser und den Verlag in einem »Offenen Brief« mit dem Vorwurf, einen antisemitisch geprägten Text anzubieten, angegriffen. Das war ein Mittwoch, der kommende Tag war Feiertag. Darauf hatte der Verlag unmittelbar zu reagieren. Das tat er, indem er den Text an die wichtigsten Feuilleton-Redakteure auf diese Weise verschickte. Außer dem Verlag und der FAZ lag das Manuskript bis dahin niemandem vor. Daß der Text anschließend kursieren würde, war uns klar. Dies schien uns allerdings aufgrund der Härte der Vorwürfe das »kleinere Übel« zu sein.


krit: Wie sind die Erfahrungen Ihres Verlages mit der E-Bookz-Szene und Copyright-Verletzungen im Internet im Allgemeinen?

Philip Roeder: Ähnliche Verletzungen des Urheberrechts kommen gelegentlich vor. In der Regel handelt es sich natürlich um im Nachhinein erfaßte Texte, die irgendwo im Internet bereitgestellt werden. Wo und wann immer wir Kenntnis davon erhalten, gehen wir in der gleichen Weise dagegen vor.


krit: Glaubt man den zahlreichen Kritikern, ist Walsers »Tod eines Kritikers« ohne literarische Qualität. Es sei ein »antisemitisches Machwerk« und betreibe pseudoliterarische Brandstiftung.
Wäre es nicht richtig gewesen, im Sinne der Qualität von Literatur und der political correctness, von einer Veröffentlichung abzusehen? Wird der gute Ruf des Verlages nicht nachhaltig geschädigt, zumal sich augenscheinlich der Vorwurf des Anitsemitismus fest den Köpfen einer kritischen Leserschaft verankert hat?

Philip Roeder: Die Stimmen der Kritik sind hier durchaus differenzierter als Sie es darstellen. Für uns steht außer Frage, daß weder Martin Walser noch seinem Text in irgendeiner Weise eine antisemitische Haltung oder Tendenz zu unterstellen ist. Martin Walser ist einer der Autoren, die mit der Entwicklung und Geschichte des Suhrkamp Verlages aufs engste verbunden sind. Und es gehört zu den Grundsätzen des Verlages, zu und auch hinter seinen Autoren zu stehen.


krit: Man könnte meinen, es gäbe im Konkurrenzkampf der Verlage keine Hemmungen mehr, drittklassige Literatur zu veröffentlichen, Hauptsache der Name des Autors stimmt. Oder?

Philip Roeder: Ich kann hier nicht für andere Verlage sprechen. Für Suhrkamp gilt dies sicher nicht.


krit: Was haben Sie persönlich und die Geschäftsleitung des Suhrkamp-Verlags aus dem Fall Walser von der Empörung Schirrmachers bis hin zur zurückgenommen Abmahnung gelernt?

Philip Roeder: Der Verlag hat so gehandelt, wie seine Autorinnen und Autoren und weite Teile der Öffentlichkeit dies von ihm erwartet haben.

krit: Vielen Dank fuer das Interview.

Fragen von Ralph Segert, 25.06.02
 


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