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Alltag eines Online Producers
![]() Rainer Lingmann, "Mädchen für alles" beim Internet-Dienst top.de, erzählt über die Höhen und Tiefen der Web-Arbeit. ![]() KriT: Im deutschspachigen Web hat Dein Name einen guten Klang. Deine Rezensionen von privaten Homepages sind berühmt-berüchtig ;-), der dazugehörige Award "Best of Internet" ist sehr begehrt. Wie kam es dazu, daß Du als Online-Redakteur für ein Unternehmen so ein erfolgreiches Projekt starten konntest? ![]() Rainer: Erst mal danke für das Kompliment, dann eine kleine Klarstellung vorneweg: ![]() Ich bin gar kein Redakteur, sondern Producer. Da es aber zum einen noch wenige genau festgelegte Berufsprofile in der Multimediabranche gibt und wir hier zum anderen mit relativ kleiner Besetzung arbeiten, heißen die Mädchen-für-alles bei uns eben Producer ;-) ![]() Zur Betreuung der "Homepage des Tages" kam ich eher wie die Jungfrau zum Kind: Auf einmal war es da, und weh getan hat's auch nicht. In den Anfangstagen von top.de im Frühsommer letzten Jahres wollten wir gerne ein kleines Gewinnspiel starten, um Surfer auf unsere Site aufmerksam zu machen. Und da gab es nicht viel, das für eine Web-Tip-Site wie top.de näher lag, als die User selbst noch zum Bestandteil des Programms zu machen, um den Kreis zu schließen. Die zu gewinnenden Preise waren dabei gewissermaßen in drei Klassen aufgeteilt: ![]() Den Hauptpreis, ein Modem, hat im Sommer '96 die "Hausfrau" gewonnen. Einige kleine Trostpreise habe ich unter anderem an Birgit Regler und Claudia Klinger geschickt, und der eigentlich kleinste Preis war der "GIF-Orden", den jeder bekommen hat, den ich im Wettbewerbsprogramm überhaupt vorgestellt habe. ![]() Tja, der Award hat sich dann verselbständigt und ist über die Monate zum eigentlichen Hauptpreis geworden. Nachdem ich gemerkt hatte, daß mein Award als wirkliche Auszeichnung verstanden wurde, habe ich mich entschlossen, ihn auch nach dem Ende des ursprünglichen Gewinnspiels weiter zu verleihen. Und seitdem läuft und läuft und läuft er... ![]() ![]() Im Web dreht sich alles um sich selbst. ![]() ![]() KriT: Eine größere Anzahl von Internet-Usern an eine kommerziellen Website zu binden, gehört ja nicht gerade zu den leichtesten Aufgaben im Netz. Auf was muß man da eigentlich als Unternehmen und als "Producer" achten, um nicht auf die Nase zu fallen? ![]() Rainer: Die Frage ist prinzipiell ja einfach zu beantworten: Man muß Inhalte anbieten, die die User interessieren, denn content rules. Natürlich schließt sich dann sofort die Frage an: Was interessiert die User denn eigentlich? Und da muß man erst mal erkennen, daß die Surfer das zum Großteil selbst nicht wissen, und es auch kaum äußern. Nach ihren inhaltlichen Wünschen gefragt, antworten die meisten mit Themen, die sie selbst in ein "gutes Licht" stellen oder die ihren sehr speziellen aber kaum mehrheitsfähigen Interessen entsprechen: mehr Politik, mehr Berichte über russische Auswanderer oder Seiten zur Formel 1... ![]() Dabei ergeben sich die wirklichen Interessen des gegenwärtigen Internetpublikums, das ja noch nicht die Gesamtbevölkerung repräsentiert, aus dem Medium selbst: Es interessiert sich für das Web, den eigenen Computer und die Programme darauf, zwanglose Kommunikation mit anderen und Sex. Und das alles mit der größtmöglichen Aktualität, die das Medium bieten kann. ![]() Indem sich also ein Angebot wie top.de mit anderen Websites beschäftigt, Computer-Sites, seit neuestem erotische Sites und Shareware-Programme empfiehlt, Online-Nachrichten bringt und einen Chat betreibt, steht es auf der relativ sicheren Seite. ![]() Unterm Strich bleibt: Im Web dreht sich alles um sich selbst. Das Web berichtet übers Web (s. auch Deine Szene-News oder KriT), es begründet sich und das Interesse an ihm durch sich selbst, sui generis. ![]() KriT: Wer was bieten will, muß also kräftig investieren. Geld und Manpower. Viele Firmen fragen sich noch, was bringt uns das? Was würdest Du antworten? ![]() Rainer: Erfahrung, frühzeitige Präsenz im neuen Medium und auf Dauer ein Imagegewinn. Es läßt sich ja nicht verheimlichen, daß man zur Zeit im Web noch kein Geld verdienen kann, von ganz wenigen Ausnahmen mal abgesehen. Doch wer jetzt schon dabei ist, der kann sich für relativ wenig Geld einen Marktvorsprung aufbauen, den andere später nur noch mit relativ großem Aufwand aufholen können. Die jetzt dabei sind, werden auch zu den ersten gehören, die später auf die ein oder andere Weise Geld verdienen. ![]() ![]() Ein Webauftritt kann ein sehr subtiles, langfristig wirksames Marketinginstrument sein ![]() ![]() Dabei muß aber immer bedacht werden, daß die Webpräsenz nicht Selbstzweck ist. Den Fehler, der jetzt in der IBM-Fernsehwerbung ironisiert wird, machen immer noch viele Firmen: Sie stellen einfach ihre Produktinformationen und Unternehmensgeschichte online... Das gehört zwar für große Firmen mittlerweile auch zum guten Ton, aber alleine kann's das nicht sein. Den richtigen Weg gehen Firmen wie zum Beispiel Milka, die auch nach der Einstellung ihrer CyberSoap auf ihrer Website dem Surfer mit einem Chat oder einer Tamagotchi-Kuh Angebote präsentieren, die unabhängig vom Produkt nützlich oder spaßig sind. Trotzdem erreicht die clever gestaltete Website aber immer den Zweck, die Marke Milka noch tiefer ins Bewußtsein und in die kariösen Zähne zu graben. ![]() Der eigene Webauftritt kann also ein sehr subtiles, langfristig wirksames Marketinginstrument sein, wenn man die Gegebenheiten des Mediums berücksichtigt und für seine Zwecke nutzt. ![]() KriT: Ihr habt vor kurzen top.de ein neues Outfit gegeben. Ich habe Stimmen gehört, die fanden das unversechselbare, wohlvertraute Design schöner und auch uebersichtlicher. Was waren die Gründe für den Umbau und wie haben Eure Besucher darauf reagiert? ![]() Rainer: Die Gründe für das Redesign waren zweierlei: ![]() Zum einen wollten wir dem Angebot ein zeitgemäßeres Gesicht geben, um von dem doch sehr DOS-artigen Layout aus der Zeit der 2er-Browser wegzukommen. Dabei mußten wir allerdings beachten, daß die Site weiterhin nur minimale Anforderungen an Browser und Leitung stellen soll. ![]() Zum anderen (und das war der wichtigere Aspekt) wollten wir den tagesaktuellen Magazincharakter von top.de mehr in den Vordergrund stellen. Meiner Ansicht nach wurden im alten top.de die täglichen Schlagzeilen im Vergleich mit den Bereichslinks unter Wert präsentiert. (Die Top-Listen und WebGuides blieben sogar fast völlig unbeachtet.) Auf der neuen Homepage wird deutlicher, daß der eigentliche Wert, den top.de dem User bieten will, die täglichen Hinweise auf neue Sites sind. ![]() Im gleichen Zug ist das top.de-Konzept in sich geschlossener geworden: Zu jeder der inhaltlichen Kategorien gibts jetzt Aktuelles, die Top 10 und einen WebGuide, während es vorher zum Beispiel Top-Listen zu Themen gab, für die keine Tageslinks recherchiert wurden. ![]() Die Reaktionen, die uns auf unsere Aufforderung hin per eMail erreichten, waren gemischt. Wie nicht anders zu erwarten, wenn ein bekanntes Angebot umgestaltet wird, gab's Kritik an der Umgestaltung selbst, Kritik an der konkreten Ausführung des neuen Layouts, aber gelegentlich auch Lob :-) An den Abrufzahlen allerdings sehen wir, daß das neue Konzept die Inhalte für die User interessanter und zugänglicher gemacht hat: Die Gesamt-PageViews sind gestiegen, weil die neu eingeführten Bereiche (Shareware und Liebe) erfolgreich sind, und weil die Top-Listen und WebGuides im Vergleich zum alten Layout häufiger gelesen werden. ![]() Kritik wird aber weiterhin beachtet und ist willkommen. Nicht zuletzt aufgrund von Userzuschriften haben wir die Navigationsleiste noch einmal grundlegend renoviert und übersichtlicher gemacht. ![]() KriT: Das hoert sich nach viel Engagement von Deiner Seite an. Wie sieht Dein Alltag als Producer aus? Zwischen Höhenrausch und Online-Frust? ![]() Rainer: Ich habe im wesentlichen drei Arbeitsschwerpunkte: Zum einen XtraSites, dort setze ich die tägliche Aktualisierung mit der Redaktion um, wir sprechen die Themen und Schlagzeilen ab, ich gestalte die Homepagegraphiken, produziere Layouts für Specials... ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Weiterhin betreue ich als SurfGuard unseren Chat auf top.de: Ich bin der Ansprechpartner in Problemfällen. Dabei bin ich nur sehr selten im Chat selbst unterwegs, muß mich aber mit technischen und vielen vielen sozialen Problemen herumschlagen, die über die Nachrichtenboards an mich herangetragen werden, und bin quasi der Kindergärtner :-) Es ist wirklich ganz erstaunlich zu sehen, wie soziale Effekte durch das Kommunikationsmedium Internet beschleunigt werden: Freundschaft, Liebe, Abneigung, Haß, gute und schlechte Meinungen vom virtuellen Gegenüber entwickeln sich um ein Vielfaches schneller als im realen Leben. Der Chat läßt einen nicht zur Ruhe kommen und hält jeden Tag eine neue Überraschung bereit. ![]() Schließlich der projektbezogene "Sonstiges"-Teil meines Jobs: Immer wieder liegen kleinere und größere Projekte an, die einmalig umgesetzt werden müssen. Auch und gerade die Herausforderung, hier regelmäßig komplette Konzepte zu entwickeln und umzusetzen, macht meinen Job kurzweilig. ![]() Da ich natürlich auch mit den üblichen Frustrationen zu kämpfen habe (Zeitdruck, unfreundliche und nervige Chatter, der Internet Explorer, mäkelige Kunden und Vorgesetzte, PROBLEME!), ist mein Job wie jeder andere in Zeiten anfressend. Letztlich aber ist die Mischung zwischen technischer und inhaltlicher Arbeit optimal: Ich wollte nichts anderes machen. ![]() KriT: Und wie stellen wir uns Rainer Lingmann privat vor? ![]() Rainer: Die prosaische Antwort: Wie auf dem Bild. Die steckbriefhafte Antwort: 28 Jahre alt, Diplom- Physiker, seit Juni 96 ständig dazulernender Online Producer, ledig, wohnhaft und lebhaft in Köln :-) ![]() Die Web-Antwort: Als kommunikationsfreudigen, lebensfrohen eMail-Junkie, der auf vieles im Web verzichten könnte, aber eben nicht auf elektronische Post. Wenn mich irgendwas am Web begeistert, dann ist es die Möglichkeit, mit anderen formlos und unproblematisch in Kontakt zu treten, und diesen Kontakt auch über lange Zeit halten zu können, was manchmal auch auf Kosten meiner Produktivität geht... ![]() Die Sonstiges-Antwort: Trotz eMail-Abhängigkeit lasse ich mir nicht die Zeit nehmen, viel und fachübergreifend zu lesen (von Schöngeistigem bis Spektrum der Wissenschaft, von SPEX bis FAZ, von Briefen bis zu Sachbüchern), auszugehen und mich mit meinem Lieblingshobby Pop-Musik zu beschäftigen. (An dieser Stelle einen Gruß an Thomas Guntermann, den einzigen Radiomoderator, der an guten Tagen Gott ist ;-) Ich möchte mich nicht auf bestimmte Interessen festlegen lassen, was Fluch und Segen zugleich ist... ![]() KriT: Es ist soweit, der KriT-Apfel ist nun Deiner und wird Dir so schnell wie möglich zugeschickt. Wird er Dich stärken? ![]() Rainer: Und wie! Auf daß ich auch in Zukunft noch kraftvoll zubeißen kann! ![]() Ich verstehe ihn zum einen als außergewöhnliche Ehrung für meine bisherige Arbeit, von der ich nicht zu hoffen gewagt hätte, daß sie Deinen Apfel wert ist... :-) Vor allem aber nehme ich ihn als Anstoß, mich mal wieder intensiver mit meinen vernachlässigten Privatprojekten zu beschäftigen: Da ich ab Januar von zuhause aus arbeiten werde, finde ich dann auch eher die Zeit, private Homepage und die "Trends" auf Vordermann zu bringen und einfach wieder ein etwas aktiverer Netizen zu werden. ![]() Rainer Lingmanns Webspuren ![]() top.de ![]() Rainers niedliche Homepage ![]() DieTrends ![]() Gemeinsames CyberSoap-Projekt von sechs Webbern: Die Trends erleben gemeinsam absurd-komische Abenteuer; außerdem gestaltet jeder Trend auf den persönlichen Seiten Artikel zu seinen Spezialinteressen - von Musik bis Pin-Up, von Extropianern bis Vibratoren, von Ampelmännchen bis Unterwäsche. |
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