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Interview Index - 26.06.2002
Nachwehen uneingeschränkter Solidarität
Der Journalist Harald Neuber über den Dokumentarfilm Das Massaker von Mazar sowie über die »machtkonforme Berichterstattung« der etablierten Medien.
 
krit: In dem Artikel Das Massaker, das nicht sein darf berichten Sie über einen 20minütigen Streifen des ehemaligen BBC-Mitarbeiters und Dokumentarfilmers Jamie Doran. Dieser Film erhärtet den Vorwurf, dass die Nordallianz unter US-Duldung »3000« gefangene Taliban-Kämpfer ermordet habe. Aus welchen Indizien und Belegen lässt sich das herleiten? Menschliche Knochen in der Wüste sind allein noch kein Beleg.

Harald Neuber: Der irische Kollege belegt seine These nicht mit den Knochenfunden, seine These stützt sich auf die Aussagen mehrerer unmittelbar Beteiligter. Wir sollten Dorans Dokumentarfilm im Kontext betrachten. Die US-amerikanischen Ärzte für Menschenrechte sind bereits zu Beginn des Jahres auf menschliche Reste in der Nähe des nordafghanischen Mazar-i-Sharif gestoßen. Schon damals zeichneten sich dabei die Ausmaße eines Massengrabes ab. Im April fand eine weitere Grabung unter UN-Assistenz statt, die diese ersten schlimmen Vermutungen unterstützte.
Unabhängig davon, aber parallel zu diesem Geschehen drehte Jamie Doran seinen Film. Darin kommen Taxi- und Fernfahrer und zum Teil hochrangige Mitglieder der »Vereinigten Islamischen Front« (Nordallianz) vor. Sie alle bezeugen den von Doran rekonstruierten Massenmord. Die an den ersten Grabungen Beteiligten haben Dorans Aussagen als »fehlendes Glied in der Kette« bezeichnet. Nehmen wir heute alle diese Informationen zusammen, ergibt sich ein relativ geschlossenes Bild. Nun läge es an den offiziellen Stellen, den Vorwürfen nachzugehen.


krit: Wie glaubwürdig ist Ihrem Eindruck nach der Film und die darin zu Wort kommenden Zeugen?

Harald Neuber: Ich halte die Aussagen der Zeugen schon allein deswegen für glaubwürdig, weil sie verschiedenen Bevölkerungsgruppen angehören. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, sollte man sich fragen, welches persönliche Interesse sie zu diesen Aussagen bringen könnte. Ich sehe keine. Ganz im Gegenteil bringen sich die Männer durch belastende Aussagen selber in Gefahr. Nach meinen eigenen Erfahrungen in der Region habe ich sicher keine Illusionen in die dortigen Machthaber und noch viel weniger in die westlichen am Krieg beteiligten Parteien. Trotzdem möchte ich auf einen Umstand hinweisen: Die USA sind nach eigenen Angaben in diesen Krieg gezogen, um ein Unrechtsregime zu stürzen. Nun zeichnet sich ab - und wer die Kriegsgeschichte der USA der vergangenen Jahrzehnte verfolgt hat, den wird das nicht erstaunen -, dass sie selber in Verbrechen verstrickt waren, oder sie in Kauf genommen haben. Die Menschen in Afghanistan sind weder taub noch blind. Sie hören die offiziellen Begründungen des Krieges und sie sehen die Resultate. Dann werden sie die Konsequenzen daraus ziehen. Nicht anders sah der Lernprozess eines lokalen CIA-Agenten namens Osama bin-Ladin von den achtziger Jahren bis in die neunziger Jahre aus.


krit: Der Film wurde auch im Bundestag gezeigt, rotgrüne Regierungspolitiker sehen aber keinen Handlungsbedarf. Wie ist das abweisende Schweigen zu interpretieren? Regt sich politischer Protest dagegen?

Harald Neuber: Die politische Apathie ist die gewollte Folge der von Bundeskanzler Schröder erklärten uneingeschränkten Solidarität. Es ist im politischen Diskurs Berlins heute kaum möglich, US-Politik kritisch zu hinterfragen. Nie hat das Bild des »großen Bruders« so gepasst wie nach dem 11. September. Diese Meinungs- und Handlungsblockade zu durchbrechen, wird nicht einfach sein, bzw. nur dann, wenn kritische parlamentarische Initiativen von der Straße aus unterstützt werden.
Die ersten Reaktionen selbst von politisch Interessierten in meinem Freundes- und Bekanntenkreis auf das Video und die These Dorans war Unglaube. Und das ist wahrscheinlich die größte Errungenschaft Schröders und des den Diskurs bestimmenden Medienapparates: Was nicht sein darf, ist nicht. Einzig die linken Fraktionen haben sich bislang bemüht. In Brüssel war es die »Konföderale Fraktion der Vereinigten Linken / Nordische Grüne Linke« und in Berlin die PDS. Die Sache wird nun auf Initiative des PDS-Abgeordneten Carsten Hübner im Menschenrechtsausschuss des Bundestages weiter behandelt.


krit: Welche politische Folgen hatte der Film bisher und welche sind zu erwarten?

Harald Neuber: Bislang wurde nur der Trailer, also ein 20-minütiger Zusammenschnitt vorgestellt. Das Interesse von Seiten der Presse war ungeheuer groß, die Bundesregierung schweigt weitgehend. Als die Tageszeitung junge Welt in den Ministerien nachfrage, kam die geradezu zynische Antwort, man habe die US-Regierung um Aufklärung gebeten. Der Mitangeklagte wird hier zum Staatsanwalt gemacht.


krit: Der Spiegel und FAZ wollen nicht so recht glauben an das beschriebene Massaker. Andererseits sind »Meldungen aus US-Federn nach dem 11. September« gerne und unkritisch von den gleichen Zeitungen verbreitet worden. Ist man hier auf einem Auge blind? Sind es die Nachwehen der uneingeschränkten Solidarität?

Harald Neuber: Bei der Betrachtung der Rolle der Medien möchte ich etwas differenzierter auf die verschiedenen Ebenen eingehen. Nach dem 11. September setzte ein ungeheurer Konformitätsdruck inner- und außerhalb der USA ein. Vorgegeben wurde er von politischer Seite, transportiert wurde er bei den großen Medienhäusern meist durch die Redaktions- leitungen. Kaum einmal zeigte sich die Verquickung von Presse und Politik so deutlich wie in diesem Fall. Die Auswirkungen bekamen die »einfachen« Mitarbeiter zu spüren. Seitdem haben zwei Entwicklungen eingesetzt. Auf der einen Seite sind Journalisten vorsichtiger geworden, man erinnere sich an den Fall des Moderators Ulrich Wickert. Zum anderen hat nach Beginn einer öffentlichen Debatte aber auch Kritik an der Unkritik eingesetzt. Dass sich weder eine gesunde kritische Medienhaltung noch eine machtkonforme Bericht- erstattung durchgesetzt hat, und es den ersten Ansatz unbedingt zu stärken gilt, zeigt der Umgang mit dem Film Dorans. Berichtet wurde einerseits schon, nirgendwo aber fehlte das ergänzende »vermeintlich«. So viel kritischen Abstand hätte ich mir bei Spiegel und FAZ nach dem 11. September und im medialen Umgang mit den von Washington rasch benannten Hintermännern der Anschläge gewünscht.


krit: Sie haben nicht wenige Themen zum Komplex WTC-Anschlag und Afghanistan-Krieg recherchiert. Was wissen wir wirklich über die Hintergründe des WTC-Anschlags und welche Links empfehlen Sie den unbedarften Lesern für einen Einstieg in die Thematik?

Harald Neuber: Von »Wissen« kann man nicht wirklich sprechen. Tatsache ist doch, dass viele Menschen sich der Sache zu sicher sind. Zum Beispiel sind sich alle sicher, dass Osama bin Ladin für die Terroranschläge des 11. September verantwortlich ist. Niemand aber kann die Frage beantworten, wer bin Laden tatsächlich ist. Und niemand kann sich daran erinnern, je einen Beweis vorgelegt bekommen zu haben. Das zeigt die in hohem Maße stattfindende Meinungsmanipulation.
Diese Situation habe ich in meinen Beiträgen - auch von Pakistan aus - versucht kritisch zu hinterfragen. In der Tageszeitung junge Welt sind eine Reihe guter Beiträge zu dem Thema. Sehr empfehlenswert ist auch das Online-Magazin Telepolis, das übrigens auch wegen seiner außergewöhnlichen Berichterstattung den Grimme-Online-Award verliehen bekommen hat.

krit: Vielen Dank fuer das Interview.


Harald Neuber, Jahrgang 1978, arbeitet als Journalist in Berlin. Seine Schwerpunkte sind Lateinamerika, Entwick- lungspolitik und Krisenberichterstattung. Im März 2001 berichtete er aus Mazedonien, im Oktober vergangenen Jahres aus Pakistan. Seine Texte erscheinen in der Tageszeitung junge Welt und im Online-Magazin Telepolis.

Vertiefende Texte in Telepolis: Das Massaker, das nicht sein darf, in der Freitag: Vom »sauberen Krieg« und Massaker in der Wüste, auf Spiegel online: Dokumentarfilmer berichtet von Massakern auf US-Befehl sowie aus der Newsgroup de.soc.politik.misc: Massenmord an Kriegsgefangene. Zudem das Interview with Jamie Doran, director of Massacre at Mazar und über Leben und Arbeit von Jamie Doran.

26.06.2002 - Fragen und Linkrecherche von Ralph Segert

 


 

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